
„Mut-Tour“: Eimsbütteler radelt mit, um Depressionen sichtbarer zu machen
Sie wollen über depressive Erkrankungen sprechen. Dafür fahren die Teilnehmenden der „Mut-Tour“ auf Tandems durch Deutschland – unter ihnen auch ein Eimsbütteler.
Von Julia HaasManche finden nicht mehr in den Schlaf, andere verlieren den Appetit, kämpfen mit Antriebslosigkeit oder Selbstmordgedanken. Depressive Erkrankungen haben viele Gesichter.
In Hamburg sind etwa 236.600 Menschen wegen einer Depression in Behandlung. Noch immer gilt die Krankheit aber in vielen Bereichen als Tabuthema.
Eimsbütteler bei „Mut-Tour“ dabei
Die Initiatoren der „Mut-Tour“ vom Verein „Mut fördern“ wollen das ändern und setzen sich für einen offenen Umgang mit der Erkrankung ein. Seit 2012 reisen dafür Fahrradteams auf Tandems durch Deutschland und sprechen auf Presseveranstaltungen und an Infoständen über Depressionen.
Der Eimsbütteler Erich Thimm unterstützt die Aktion und hat in diesem Jahr zum dritten Mal teilgenommen. Es gehe darum, Betroffenen Mut zu machen, sich der Erkrankung zu stellen, sagt der 72-Jährige. Aber auch darum, Außenstehende und die Öffentlichkeit dafür zu sensibilisieren, dass Depressionen eine Erkrankung und keine Tagesform sind. Und: die Krankheit sichtbarer zu machen.
Rund 50 Kilometer pro Tag
Insgesamt erstreckt sich die „Mut-Tour“ über 3.800 Kilometer durch ganz Deutschland. Elf Fahrrad-Teams, die aus sechs Teilnehmenden bestehen, legen vom 25. Mai bis 10. September jeweils einen Streckenabschnitt davon zurück. Die Gruppen sind zwischen vier und zehn Tagen unterwegs und radeln am Tag durchschnittlich 50 Kilometer.
Mit dem Tandem oder zu Fuß
Die „Mut-Tour“ kann auch zu Fuß angetreten werden. Die Wanderroute ist kürzer als die Radtour und erstreckt sich über 165 Kilometer. Zwei Pferde begleiten die Wanderer.
Sport und Engagement
Thimm ist für die Aktion von Eimsbüttel nach Regensburg gereist, von wo aus seine viertägige Etappe nach Rosenheim startete. Was die „Mut-Tour“ für ihn besonders macht? „Man ist den ganzen Tag aktiv und mit anderen Menschen in Kontakt“, sagt Thimm.
Dass sich sportlicher Einsatz und soziales Engagement verbinden lassen, hat Thimm bereits in der Vergangenheit gezeigt. Um für den „Filmraum“ an der Müggenkampstraße Spenden zu sammeln, radelte der Eimsbütteler im vergangenen Jahr mehrmals pro Woche über 60 Kilometer und erntete Spargel.
72-Jähriger aus Eimsbüttel hofft auf mehr Aufmerksamkeit für Depressionen
Auf die „Mut-Tour“ wurde er zufällig bei einer Fahrradmesse aufmerksam. Das Konzept dahinter überzeugte ihn.
Der 72-jährige Eimsbütteler kam während seines Berufslebens mit Menschen mit depressiven Erkrankungen in Kontakt und hat auch im Familienkreis Berührungspunkte. „Ich finde es wichtig, Nicht-Betroffene für das Thema zu sensibilisieren und sie zu ermutigen, zuzuhören.“
An der „Mut-Tour“ selbst nehmen sowohl Menschen mit eigener Krankheitsgeschichte als auch Personen ohne Erkrankung teil.
Mit der „Mut-Tour“ gegen Stigmatisierung
Bei der „Mut-Tour“ lernte Thimm seinen Mitstreiter Bernhard Rieder kennen. Der 49-Jährige kommt aus Regensburg und wurde 2020 wegen Depressionen in einer Klinik behandelt. Obwohl er selbst offen mit seiner Erkrankung umgeht, weiß er, dass andere darin gehemmt sind und die Krankheit verstecken. „Es ist wichtig, darüber zu sprechen und anderen dabei zu helfen, offen mit dem Thema umzugehen.“
Zwar habe sich die Einstellung gegenüber depressiven Erkrankungen in den vergangenen Jahren bereits geändert, findet Rieder, dennoch sei es wichtig, psychiatrische Behandlungen weiter zu entstigmatisieren.
Im Freibad übernachten
Neben der Aufklärungsarbeit stehen bei der „Mut-Tour“ die sportliche Herausforderung und die Teamerfahrung im Fokus. Und: „Man lernt, dass sich jedes Problem lösen lässt“, sagt Thimm. Zum Beispiel, wenn das Tandem hakt, das Wetter nicht mitspielt oder ein Übernachtungsplatz gesucht wird. Diese Erkenntnis stärke das Selbstvertrauen aller Teilnehmenden, ist sich Thimm sicher.
Während tagsüber geradelt wird und öffentliche Termine auf dem Plan stehen, suchen die Teilnehmenden am Abend nach einem Ort, wo sie ihre Zelte aufschlagen können. Das kann an einem See, in einem Garten oder auch mal im Freibad sein, erzählt Thimm. „Irgendwas geht immer.“
Letzteres ergab sich durch einen Zufall. „Und weil unser Anliegen immer wieder auf viele offene Ohren stößt“, sagt Thimm. Die Bademeister stellten dem „Mut-Tour“-Team nicht nur einen Zeltplatz, sondern auch eine Herdplatte für das Abendessen zur Verfügung und versorgten die Teilnehmenden am nächsten Morgen mit frisch gekochtem Kaffee. „Das war toll“, erinnert sich Thimm strahlend.
Er will auch in Zukunft die „Mut-Tour“ unterstützen und versucht, andere für das Projekt zu begeistern.
Mut fördern e.V.
Trägerverein der „Mut-Tour“ ist „Mut fördern“. Der Verein versteht sich als Selbsthilfeorganisation, die über psychische Erkrankungen aufklärt und einen Raum für Begegnungen und Austausch schafft.
Kranken- und Rentenkassen sowie Stiftungen finanzieren die Vereinsarbeit. Darüber hinaus ist „Mut fördern“ auf Spenden angewiesen.
Du hast depressive Gedanken oder kennst Menschen, die erkrankt sind? Hier findest du Hilfe.

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