»Ich stelle mir vor, dass die Enge verschwindet«
Weniger parkende Autos, mehr Grünflächen und Platz zum Spielen: Zwei Brüder wollen ihren Stadtteil verändern. Damit angefangen haben sie vor der eigenen Haustür in der Armbruststraße.
Von Julia HaasDichtes Gewächs, das zum Verstecken einlädt, Bäume zum Klettern, weites Dickicht: Kindern verspricht die Bezeichnung „Großstadtdschungel” mehr als sie hält. Schilderwald statt Pflanzenparadies, Baugerüste statt Lianen, Autolärm statt Vogelgezwitscher. Lyonel und Maël Krumnow stört das. Sie wollen draußen mit Freunden spielen, durch ihr Viertel rennen und einfach Kind sein. Darauf warten, dass sich ihr Stadtteil ändert? Das haben sie ihr ganzes Leben – jetzt packen sie selbst an.
In diesem Sommer haben die Brüder aus der Armbruststraße Ideen gesammelt, Visionen gemalt und zum Spaten gegriffen. „Wo jetzt Autos parken, sollen Grünflächen entstehen”, erklärt Maël. Der Neunjährige tritt von einem Bein auf das andere, streicht sich eine rotblonde Haarsträhne aus dem Gesicht. Sein zwölfjähriger Bruder ergänzt: „Grün ist schöner als Autos.”
Auf einer Holzpalette vor ihrer Haustür in der Armbruststraße haben die Brüder ihre Collagen und Zeichnungen ausgelegt, die Entwürfe mit Steinen beschwert, damit kein Windstoß ihre Ideen verweht. Wie ein Stadtplaner zeigt Maël mit dem Zeigefinger auf seine Pläne, dann auf die Parkplätze neben ihm. Wenn Autos seinen Schulweg versperren, ihm den Platz zum Spielen nehmen, Pflanzen und Bäume aber Bienen anlocken und gleichzeitig Schatten spenden, müsse das eine für das andere weichen. „So stellen wir es uns zumindest vor”, fügt Maël schnell hinzu und wirft seinem Vater einen Blick zu, als wolle er fragen: „War das richtig so?” Der grinst und nickt.
Grünes Band für Eimsbüttel
Florian Krumnow freut sich über den Tatendrang seiner Söhne, Eimsbüttel mitzugestalten. Während im Stadtteil viele Projekte entstehen, die sich um Klimafreundlichkeit und eine Mobilitätswende bemühen, beziehen zu wenige die Wahrnehmung von Kindern ein, findet der zweifache Vater. Im Bioladen stieß er auf eine Infokarte des Bezirksamts: Eimsbüttel soll klimafreundlicher werden – wer hat Ideen? Seine Söhne wollen mitmachen. Gemeinsam radelt die Familie durch den Stadtteil, macht Fotos und überlegt, was sich ändern muss: sicherere Radwege, größere Spielflächen und mehr Grün. Alle Gedanken münden in der Kernaussage: Eimsbüttel braucht ein grünes Band, das bestehende Grünflächen verknüpft und neue schafft.
Was die beiden Schüler vorschlagen, nennt die Umweltbehörde „Grünes Netz Hamburg”. Es verbindet Parks, Spielplätze, Sportflächen und Kleingartenanlagen; ermöglicht Fußgängern und Radfahrern, sich ungestört vom Autoverkehr durch die Stadt zu bewegen. Doch in der grünen Landkarte klaffen weiße Lücken: dicht besetzte Parkplätze und viel befahrene Straßen – zum Beispiel in der Armbruststraße. Diese Lücken wollen Lyonel und Maël schließen.
Verlorene Gärten
Also nehmen sie selbst den Spaten in die Hand: In den Sommerferien haben sie mit ihrem Vater direkt vor ihrer Haustür ein Blumenbeet gepflanzt – eine urbane, öffentliche Grünfläche, für die sie eine Grünpatenschaft übernehmen. Binnen zwei Tagen heben sie das rund vier Quadratmeter große Beet aus und setzen robuste Stauden zwischen Gehweg und Haus. Schnell kehren die ersten Wildbienen in die Armbruststraße zurück. Im Viertel stößt ihr Einsatz auf Begeisterung. „Viele bleiben stehen und freuen sich über die Blumen”, berichtet Lyonel. Alle fragen sich: Warum ist niemand früher auf die Idee gekommen?
Ganz stimme das nicht, wissen die Brüder. Sie erzählen von einem Nachbarn, der lange vor ihnen in der Armbruststraße gelebt hat – schon vor dem Zweiten Weltkrieg. Der Zeitzeuge ist damals 15, vielleicht 16. Er erinnert sich an kleine Gärten, die früher an die Häuser grenzten. Es seien diese Grünflächen gewesen, die seine Eltern zum Umzug in die Armbruststraße bewegten. Kurz nach Kriegsende sei die Bepflanzung dann verschwunden und durch Parkplätze ersetzt worden. Das Problem: Die Erinnerung an die Gärten verblasst, der Nachbar lebt mittlerweile in einer Pflegeeinrichtung, andere können nur noch aus zweiter Hand davon berichten.
Ob es die Gärten früher schon einmal gab oder nicht, ändert nichts an Maël und Lyonels Plänen – doch es könnte ihnen helfen, ihre Visionen wahr werden zu lassen. Denn sie haben das Bezirks- und das Denkmalschutzamt über ihre Ideen informiert und in die Armbruststraße eingeladen.
Es ist ein Vormittag in ihren Sommerferien, als die Brüder aufgeregt vor ihrem Blumenbeet stehen. Viele Erwachsene sind an diesem Tag gekommen, um ihnen zuzuhören. Vertreterinnen vom Bezirks- und Denkmalschutzamt, vom Elternrat und der Presse. Maël erklärt ihre Ideen vom grünen Eimsbüttel. Dann führt sein großer Bruder die Gruppe an die Lappenbergsallee – weg vom Beet und den Bienen, hin zur Straße. Ein Motorrad fährt über den Fußgängerweg. Menschen warten an der Ampel, andere laufen bei Rot. Radfahrer weichen auf den Gehweg aus. Immer wieder müssen Gespräche pausieren, weil Autos lärmen.
Kein Platz, um sich wohlzufühlen – das muss sich ändern, sagen Lyonel und Maël. Doch die Besucher dämpfen ihre Erwartungen. Das Denkmalschutzamt benötigt historische Belege, um das Gartenprojekt zu unterstützen – oder eine Unterstützung überhaupt zu prüfen. Und die Stadtplaner vom Bezirksamt können das Vorhaben zunächst nur weitertragen, eine Umsetzung nicht versprechen.
Superbüttel: Kinder beteiligen
Wenn Lyonel und Maël über ihre Ideen sprechen, wählen sie ihre Wörter sorgfältig. Bei aller erwachsenen Manier zeichnet ihre Visionen aber vor allem der unkomplizierte, lebensnahe Blick aus: „Man soll sich einfach überall wohlfühlen und spielen können.” Sie wollen sich mit Freunden treffen, durch die Straßen rennen, sich verstecken und wiederfinden.
„Ich stelle mir vor, dass die Enge verschwindet – zwischen den Hauswänden und den Autos. Und die Langeweile: Ich weiß, wo ich auf den Wegen mit meinen Freunden im Viertel spielen kann, weil es mehr miteinander verbundene Plätze und Stellen mit Wasser gibt”, schreibt Lyonel in seinem Online-Blog. Er hat ihn mit seinem Vater erstellt, um die Eimsbüttelerinnen an ihren Ideen teilhaben zu lassen.
Die Schüler wünschen sich ein Eimsbüttel, das nicht nur den Autos gehört, das Lust macht, sich draußen aufzuhalten, und das der Natur hilft: ein Superbüttel.
Das gleichnamige, von der Initiative Kurs Fahrradstadt entworfene Verkehrsprojekt denkt den Stadtteil neu, und stellt Menschen dabei in den Mittelpunkt. „Unser Ziel ist es, Menschen wieder mehr Raum für ihre Bedürfnisse in den Straßen zu geben”, erklärt Ideengeber Kai Ammer. Begrünte Straßenelemente, erweiterte Grünflächen: Das Superbüttel-Team zeigt sich von Maëls und Lyonels Ideen begeistert. „Etwas Besseres, als dass sich Kinder aktiv an der Wandlung und Umgestaltung des eigenen Wohnumfelds beteiligen, kann uns eigentlich nicht passieren.”
Und die Brüder? Ihnen geht es schon längst nicht mehr nur um den Ideenwettbewerb. „Wir wollen nicht abwarten, sondern immer weitermachen”, sagt Lyonel. Und vielleicht dauert es nicht mehr lange, bis sich erfüllt, was sich die Brüder wünschen: mehr Grün vor ihrer Haustür. Mehr Platz zum Kindsein.