HSV-Fanmarsch durch Eimsbüttel – Anwohnerin mit gefrorenen Schneebällen attackiert
Bis zu 600 HSV-Fans sind vor einigen Wochen vor einem Fußballspiel durch die Hartwig-Hesse-Straße gezogen und haben Anwohner auf ihren Balkonen angegriffen und beleidigt. Eine zweifache Mutter fragt: Müssen wir so etwas hinnehmen?
Von Christiane TauerBei Fußballspielen des HSV zeigt sich in Eimsbüttel immer wieder das gleiche Bild: Rund um die Methfesselstraße und den Stellinger Weg sammeln sich viele Fans, um gemeinsam durch die Hartwig-Hesse-Straße in Richtung Volksparkstadion aufzubrechen. Doch einen Fanmarsch wie am 23. November, als der HSV gegen den FC Schalke 04 spielte, haben die Anwohner bisher noch nicht erlebt.
HSV-Fanmarsch: Bedrohlich klingende Gesänge
„Am späten Nachmittag hörten wir plötzlich draußen laute Rufe“, erzählt eine Anwohnerin, die lieber anonym bleiben möchte, gegenüber den Eimsbütteler Nachrichten. Weiter schildert die Eimsbüttelerin, die seit 2008 in der Hartwig-Hesse-Straße wohnt, den Nachmittag so: Sie blickte hinaus und sah eine riesige Gruppe schwarzgekleideter Männer durch die Straße ziehen.
Die Männer skandierten bedrohlich klingende Gesänge. „Wir haben früher schon größere Fanmärsche erlebt, aber so einen noch nie.“
Gefrorener Schneeball flog bis ins Wohnzimmer
Sie trat auf den Balkon ihres Wohnzimmers, um das Geschehen mit dem Handy zu filmen – und wurde direkt mit mehreren Schneebällen beworfen. Ein Schneeball klatschte gegen die hintere Wand des Wohnzimmers.
„Das hört sich vielleicht lustig an“, sagt sie. Aber die Schneebälle seien eher gefrorenes Eis gewesen und dementsprechend hart. Die Angriffe empfand sie als echte Gefahr, schnell schloss sie ihre Balkontür.
Auf einem Video, das sie den Eimsbütteler Nachrichten zeigt, ist die Szenerie deutlich zu sehen. Zu vernehmen ist auch ein Ruf aus der Masse, der wie „Verdammte Hure“ klingt.
Töchter fragten: Kommen die brüllenden Männer zurück?
Ihre zwei Töchter, elf und acht Jahre alt, mussten alles miterleben, sagt die Anwohnerin. Die Mädchen hätten auf dem Balkon ihres Kinderzimmers gestanden und seien ebenfalls mit den Eisbällen beworfen worden. Wie sie später erfuhr, habe eine ihrer Töchter leise „St. Pauli ist besser“ gerufen.
Ob die Männer das überhaupt gehört hatten, wisse sie nicht. Und eigentlich sei es auch unwichtig: Man hätte deutlich sehen können, dass die Ruferin ein kleines Mädchen gewesen sei. Noch Tage später hätten ihre Töchter Angst gehabt, dass die „brüllenden Männer“ wiederkommen, berichtet sie. Wenigstens sei niemand verletzt worden.
Auch Nachbar mit Schneebällen beworfen
Die Anwohnerin fragt sich: „Muss ich es hinnehmen, dass ich in meiner eigenen Wohnung von solchen Leuten attackiert werde?“ Von ihrem Nachbarn im Haus nebenan habe sie erfahren, dass die Männer auch auf ihn Schneebälle geworfen haben sollen.
Erst im Nachhinein sei ihr klar geworden, dass sie die Attacke nicht tatenlos akzeptieren wolle und meldete sich deshalb erst einige Zeit nach den Vorfällen bei den Eimsbütteler Nachrichten.
Sie fragt sich ebenfalls: „Warum trifft sich diese Meute überhaupt in Eimsbüttel, wenn sich die Arena hinter der S-Bahn Stellingen in Bahrenfeld befindet? Wo war die Polizei? Und wieso marschieren sie durch eine enge Anwohnerstraße?“ Sie stelle sich zudem die Frage, ob es jetzt normal sei, dass sie sich bei jedem Heimspiel des HSV fürchten müsse. Sie überlege, den Vorfall bei der Polizei anzuzeigen.
Bis zu 600 HSV-Fans am Stellinger Weg
Auf Anfrage der Eimsbütteler Nachrichten liefert die Pressestelle der Polizei eine Stellungnahme zum Geschehen. So würden sich die Anhängerinnen und Anhänger des HSV in der Regel am S-Bahnhof Stellingen treffen, erklärt Polizeisprecher Sören Zimbal. Am 23. November hätten sich jedoch 500 bis 600 HSV-Fans im Bereich Stellinger Weg getroffen, um von dort gemeinsam zum Stadion zu gehen. „Der Weg über die Hartwig-Hesse-Straße ist dabei nicht unüblich.“
Keine Anmeldung für Fanmärsche notwendig
Im Gegensatz zu Versammlungen im Sinne des Versammlungsrechts (§ 14 VersG) müssen sogenannte Fanmärsche im Rahmen von Fußballspielen nicht bei der Versammlungsbehörde angemeldet werden. Sie gehören auch in Deutschland zur Fankultur.
Anders als der HSV-Fanmarsch, waren am Wochenende des 23. und 24. Novembers laut Polizei folgende Versammlungen und Aufzüge im Bezirk Eimsbüttel und seiner Umgebung angemeldet:
– „Begegnung mit den Mitbürgern/Aufklärung über den Islam!“, 12 bis 14 Uhr an der Alten Elbgaustraße 3-9
– „Recht auf Leben!“, 8 bis 15 Uhr an der Rothenbaumchaussee 64
– „Internationaler Tag gegen Gewalt an Frauen!“, 14 bis 17 Uhr, Theodor-Heuss-Platz – Dammtordamm – Stephansplatz – Dammtorstraße – Große Theaterstraße – Neuer Jungfernstieg – Colonnaden
– „Recht auf Leben!“, 14 bis 19 Uhr am Tibarg 48
Obwohl die Fanmärsche anders als beispielsweise politische Demonstrationen nicht angemeldet werden müssen, werden sie „verkehrspolizeilich begleitet“. Das sei auch am 23. November geschehen.
Ziel sei eine strikte Trennung der Fanlager, um ein Aufeinandertreffen und mögliche Auseinandersetzungen zu verhindern und Gefahren für Dritte abzuwenden. „Die Entscheidung über die Führung eines Fanmarsches obliegt letztlich dem jeweiligen Einsatzleiter“, erklärt Sören Zimbal. Dennoch würden die Vorstellungen der Fans einfließen.
„In der Regel“ sind die Routen bekannt
Und wie erfährt die Polizei nun von den Routen der Märsche, wenn diese nicht angemeldet werden? Dank der „szenekundigen Beamten und dem guten und ständigen Austausch mit den Vereinen“ würden die Planungen von Fanmärschen der Polizei „in der Regel“ im Vorhinein von Fußballspielen bekannt, teilt Zimbal mit. „Dann können diese Erkenntnisse in die Einsatzplanungen mit einfließen.“
Übersetzt heißt das aber auch: Es kann auch sein, dass die Polizei im Vorfeld nicht immer alle Informationen zu den Märschen hat und in manchen Fällen spontan reagieren muss.
Polizei wägt ab, ob Marsch stattfinden kann
Auf die Frage, inwiefern zum Beispiel aufgrund der Größe des Fanmarsches am 23. November von bis zu 600 Personen auch eine andere Route als durch die Hartwig-Hesse-Straße oder sogar eine komplette Absage des Marsches möglich gewesen wäre, antwortet die Polizei nur allgemein: Der jeweilige Einsatzleiter wäge ab, ob ein Fanmarsch wie vonseiten der Fans geplant „im Sinne der Verhältnismäßigkeit“ so durchgeführt werden könne oder nicht.
„Hierbei handelt es sich jeweils um Einzelfallentscheidungen.“ Im Sinne der Deeskalation setze die Polizei Hamburg auch hier auf eine „kooperative und kommunikative Lösung“.
Flaschenwurf auf Einsatzkräfte
So ganz scheint die Deeskalation nicht immer zu gelingen. Am 23. November, so der Polizeisprecher weiter, sei es im Rahmen des Fanmarsches zu einem Flaschenwurf auf Einsatzkräfte gekommen. „Hierzu wurde ein Strafverfahren wegen des Verdachts der versuchten gefährlichen Körperverletzung gegen Unbekannt eingeleitet.“ Weitere Straftaten hätten die Beamten nicht verzeichnet und wurden ihnen auch nicht gemeldet – damit sind also auch die von der Anwohnerin geschilderten Schneeballwürfe in der Hartwig-Hesse-Straße gemeint.
Aus Sicht der Polizei sollte sie diese durchaus melden. Geschädigte und Zeugen „können und sollten“ die Polizei kontaktieren, wenn sie „relevante Feststellungen“ gemacht hätten, sagt der Polizeisprecher. Die daraus gewonnenen Erkenntnisse würden in die Nachbereitung mit einfließen und bei zukünftigen Einsatzlagen berücksichtigt werden.
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