Anzeige
Aktualisiere Standort ...
Standort konnte nicht ermittelt werden. Aktiviere deine Standortfreigabe.
Standort wurde erfolgreich ermittelt.
Maiada Batal (links) und Heba Tollah haben sich über Chickpeace kennengelernt. Foto: Julia Haas
Maiada Batal (links) und Hebatollah Rahmon haben sich über Chickpeace kennengelernt. Foto: Julia Haas
Arbeitsmarktintegration

„Ich will arbeiten!“

In einem fremden Land Arbeit zu finden, gestaltet sich für Geflüchtete oft schwierig. Wir haben mit vier Menschen über ihre Erfahrungen gesprochen.

Von Julia Haas

Töpfe klirren, eine Brühe blubbert, immer wieder mischt sich Lachen unter die Geräusche. Es ist kurz nach 10 Uhr. Hebatollah Rahmon rührt mit dem Kochlöffel durch die Tajine, Maiada Batal bringt das dreckige Schneidebrett zur Spüle. Noch 100 Minuten bis das Essen abgeholt wird. Hummus, Linsensalat, Brot, Tajine, Orangenkuchen. Sie sind gut in der Zeit. “Tee?”, fragt Hebatollah. 

Anzeige

Im Büroraum neben der Großküche stellt Maiada eine Servierplatte mit Baklava auf den Tisch, Hebatollah gießt Schwarztee in die Tassen. Sie haben sich hier, bei Chickpeace, einem Catering-Service von geflüchteten Frauen, kennengelernt. Beide sind mit ihren Familien aus Syrien geflüchtet. Beide haben das Vertraute aufgegeben, um in der Fremde anzukommen. Ob sie heute, über acht Jahre nachdem sie nach Deutschland gekommen sind, einen Arbeitsplatz hätten, wenn es Chickpeace nicht gäbe – sie wissen es nicht. 

Hürden auf dem Weg zur Arbeit

Deutsch lernen, einen Job finden, sich integrieren – und das möglichst schnell. Im Oktober 2023 hat Bundesarbeitsminister Hubertus Heil den „Jobturbo“ ausgerufen. Geflüchtete sollen schnell und möglichst nachhaltig in den Arbeitsmarkt integriert werden. 

Viele Geflüchtete wollen genau das –  nach Auswertungen des NDR sind in Hamburg mindestens 34 Prozent der erwerbsfähigen Schutzsuchenden sozialversicherungspflichtig beschäftigt. Die Arbeitsbereitschaft liegt höher. Das Problem: Hürden, die auf dem Weg zum Arbeitsmarkt ausbremsen. 

Karriere zurückgelassen

Zu Hause in Aleppo hat Hebatollah 16 Jahre lang in einem Telekommunikationsunternehmen gearbeitet. Zuletzt als Teamleiterin. So erzählt sie es. Sie habe Weiterbildungen in Beirut oder Damaskus besucht. Viel Arbeit, ein gutes Gehalt, sagt sie. Und: Es habe ihr Spaß gemacht. Ein Job, den man nicht aufgeben will.

Heba Tollah kocht bei Chickpeace. Foto: Julia Haas
Hebatollah Rahmon kocht bei Chickpeace. Foto: Julia Haas

Als sie vor acht Jahren nach Deutschland kam, zählte das nicht mehr. Sie hat vieles zurückgelassen, unter anderem ihren Beruf. Nach der Flucht war da zuerst die Sprache, die sie lernen musste. Dann die offizielle Ausbildung, die ihr fehlte. Jeder Termin beim Jobcenter war mit Angst verbunden, sagt sie. Weil sie nicht wusste, wie es weitergehen würde. 

2019 erzählte ihr eine Freundin von Chickpeace.  

Geflüchtete Frauen in Arbeitswelt integrieren

Das Unternehmen entstand vier Jahre zuvor als Kochprojekt in einer Flüchtlingsunterkunft in Harburg-Heimfeld. Manuela Maurer, die sich damals ehrenamtlich in der Unterkunft engagierte, initiierte das Projekt. Fast zwei Jahre kochten geflüchtete Frauen in wechselnden Gruppen füreinander. Maurer entschied, mehr daraus zu machen und verwandelte das Projekt in einen Catering-Service. Er soll geflüchtete Frauen in die Arbeitswelt integrieren. Aktuell besteht das Team aus neun Frauen, bis zu vier Caterings pro Tag werden zubereitet.

info

Chickpeace

Das Unternehmen ist unter dem gemeinnützigen Eimsbütteler Verein Ponton 3 e.V. angesiedelt. 2025 soll es nach Altona ziehen, wo neben der Produktionsküche auch eine Kantine geplant ist.

Die Stadt Hamburg fördert das mit knapp 100.000 Euro. Die Förderung erfolgt im Rahmen von „#UpdateHamburg“, der Senat unterstützt damit soziales Unternehmertum.

“Kochen können wir”

Zu kochen, sei für Hebatollah in Syrien Alltag gewesen. Jeden Tag ab 14 Uhr bereiten Frauen mit ihren Müttern das Essen für die Familie zu, erzählt sie. “Kochen können wir.” Dass genau das ihr in Deutschland in den Arbeitsmarkt verhilft, hätte sie nicht gedacht. 

Neben der Arbeit in der Küche führt sie bei Chickpeace das Kassenbuch, künftig soll sie die Einkaufsplanung übernehmen. “Ich will mich weiterentwickeln.”

Wieder arbeiten? Für Frauen mit Kindern schwieriger 

Während Hebatollah erzählt, nickt Maiada immer wieder. Sie teilen viele Erfahrungen – und die Herausforderung, alles neu lernen zu müssen. Maiada wollte in Deutschland als Altenpflegerin arbeiten. Doch Sprachkurs, Ausbildung, Kinderbetreuung und Haushalt gleichzeitig zu stemmen, war zu viel, sagt sie. Sie hat drei Kinder, ihr jüngster Sohn besucht den Kindergarten. “Ich hatte Angst, das nicht zu schaffen.”

Laut einer Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung sind geflüchtete Männer häufiger erwerbstätig als geflüchtete Frauen. Sechs Jahre nach ihrer Ankunft würden 22 Prozent der Frauen, die einen Partner und Kinder haben, arbeiten, bei den Männern mit Familie seien es 63 Prozent. Höher fällt hingegen die Erwerbstätigkeit bei Frauen aus, die keinen Partner oder Kind haben – dann sind es etwa 43 Prozent. 

Erst mit dem Kontakt zu Chickpeace kam der Mut zurück, zu arbeiten. Weil die anderen ihr zusprachen, es auszuprobieren, und weil alle sie unterstützen. Zum Beispiel, indem jemand anderes aus dem Team ihren Sohn vom Kindergarten abholt, oder sie ihre Arbeitszeiten flexibel an die ihres Mannes anpassen kann. 

Die Teekanne ist leer. Hebatollah schaut auf ihr Smartphone, dann zu Maiada: “Wir sollten weitermachen.” Noch 60 Minuten, bis das Essen abgeholt wird. 


Faya Kantambadouno: Arbeiten, um bleiben zu dürfen

Faya Kantambadouno wollte mehr, als er vor über 13 Jahren seine Heimat Guinea verließ. Er wanderte in die Ukraine aus, um seinen Master in Agrarchemie zu machen. Er blieb, arbeitete, engagierte sich in der Kirchengemeinde, traf Freunde. Dann brach der Krieg aus.

Als eine Rakete in der Nähe von seinem Zuhause einschlug, entschied er zu fliehen. Ein Freund vermittelte ihm einen Kontakt nach Hamburg. 

Am 4. März, nach einer Woche Flucht, erreichte Faya Rosenheim in Bayern. Die Polizei erfasste ihn dort als ukrainischen Flüchtling. Noch am selben Tag stieg er in den Zug nach Hamburg. 

“Ich hatte einen Plan: Deutsch lernen, meinen Abschluss anerkennen lassen, Arbeit finden.” 

„Ich wollte schreien!“

Doch Faya ist ein Drittstaatsangehöriger, hatte keinen unbefristeten Aufenthaltstitel in der Ukraine. Für ukrainische Geflüchtete wie ihn gab es zunächst eine Übergangsregel, die erlaubte, ohne Visum einzureisen und sich in Deutschland aufzuhalten. Ende August 2022 lief diese aus. Und Faya erhielt die Nachricht, Deutschland verlassen zu müssen.

Faya Kantambadouno ist aus der Ukraine nach Deutschland geflüchtet. Foto: Julia Haas
Faya Kantambadouno ist aus der Ukraine nach Deutschland geflüchtet. Foto: Julia Haas

“Ich wollte schreien”, sagt er heute. Doch er blieb ruhig – wie immer, wenn sich vor ihm ein Hindernis auftut, trat er einen Schritt zurück und analysierte. Er legte Widerspruch ein, zog mit einem Anwalt vor Gericht. Im Dezember 2022 erhielt er eine Duldung – ohne Arbeitserlaubnis. “Aufgeben ist nichts für mich”, sagt er. Also lernte er weiter Deutsch, wartete auf die Anerkennung seines Master-Abschlusses und begann, nach einem Job als Agraringenieur zu suchen.

Mit dem Arbeitsvertrag zum Aufenthaltstitel 

Unterstützung fand er bei der Flüchtlingshilfe Harvestehude. Ein Ehrenamtlicher gab ihm Tipps für den Lebenslauf, korrigierte die Anschreiben, bereitete ihn auf Vorstellungsgespräche vor – mit Erfolg. Im Frühling 2024 lud ihn eine Firma aus Niedersachsen zum Gespräch ein. Alles passte, das Unternehmen machte ihm ein Arbeitsangebot – und Faya beantragte damit eine Arbeitserlaubnis. 

Heute arbeitet er wieder in einem Labor – führt Analysen von Düngemittel, Saatgut, Boden und Pflanzen durch. “Das ist meine Welt”, sagt er. Mit dem unterschriebenen Arbeitsvertrag hat er einen Aufenthaltstitel beantragt. Bis dieser ausgestellt war, konnte er seinen Wohnsitz nicht wechseln. Also pendelte er jede Woche von Hamburg nach Hameln. Vier Stunden Zugfahrt, um arbeiten und bleiben zu dürfen. 


Shaymae Shamo: Glücksgriff Ausbildung

Bohrer, Mundspiegel und Zangen liegen auf der Ablage neben dem Behandlungsstuhl. Es ist kurz vor 9 Uhr an einem Morgen im Juni, die Zahnarztpraxis in der Osterstraße 157 hat noch geschlossen. Shaymae Shamo sitzt in ihrer dunkelblauen Arbeitskleidung im Pausenraum, die schwarzen Haare fallen ihr über die Schulter. In zweieinhalb Stunden muss sie weiter zur Zeugnisausgabe. Es ist ihr letzter Schultag.  

Als Shaymae 13 Jahre alt war, ist sie mit ihrer Familie aus dem Irak geflohen. Sie hat fünf jüngere Geschwister. Ihnen will sie zeigen, dass sie hier eine Zukunft haben. 

Als Jugendliche engagierte sie sich neben der Schule ehrenamtlich: Sie bereitete Graffiti- und Rap-Workshops für Kinder und Jugendliche vor und setzte sie gemeinsam mit ihnen um. Shaymae engagierte sich damals über Mitmacher – eine Organisation, die Geflüchtete in Ehrenämter vermittelt und so deren soziale Teilhabe stärken will. Über die Kontakte, die in dieser Zeit entstanden, lernte sie die Zahnärztin Niloufar Madanikia kennen.   

Chancen geben

Niloufars Eltern kommen aus dem Iran. Obwohl sie in Deutschland aufgewachsen ist, war während ihres Studiums immer das Gefühl da, anders zu sein. Keine Außenseiterin, aber eine Außerirdische. Um das Studium zu finanzieren, arbeitete sie in der vorlesungsfreien Zeit. Sie blieb länger als ihre Kommilitonen zu Hause wohnen, um Miete zu sparen. “Irgendwann wollte ich aufhören, weil es zu viel war.” Doch sie hielt durch. 

Heute will sie es anderen jungen Menschen, die ein Ziel, aber wenig Unterstützung haben, einfacher machen. Als sie Shaymae kennenlernte, die damals nach einem Praktikumsplatz suchte, war für sie klar, ihr eine Chance zu geben. 

Auf Situation eingehen

Für Shaymae, die heute 21 Jahre alt ist, ein Glücksfall – und trotzdem nicht immer einfach: fremde Sprache, fremde Menschen. In der Anfangszeit machte sie es nervös, mit Patienten zu sprechen. “Aber sie ist immer besser geworden”, erzählt Niloufar. Nach dem Praktikum bot sie Shaymae einen Ausbildungsplatz an. 

Drei Jahre später hat sie die Ausbildung geschafft. Auch, weil Niloufar auf ihre Situation eingegangen ist. Wenn sie zum Beispiel ihre Mutter zum Arzt begleiten musste, um zu übersetzen, war das kein Problem.


lokal. unabhängig. unbestechlich.

Eimsbüttel+

Mit Eimsbüttel+ hast du Zugriff auf alle Plus-Inhalte der Eimsbütteler Nachrichten. Zudem erhältst du exklusive Angebote, Deals und Rabatte von unseren Partnern.


Eimsbüttel+

Weiterlesen

Hamburg wählt in den nächsten Wochen gleich zweimal. Was Briefwähler beachten müssen.

Vor einem halben Jahr hatten die Betreiber von “Liv” im Eppendorfer Weg einen Spendenaufruf gestartet. Jetzt gaben sie das Aus für die Filiale in Eimsbüttel bekannt.

Die Hochbahn erneuert auf einem Abschnitt der U2 die Gleise. Busse sollen den Bahnverkehr ersetzen.

„Der Geheime Garten“ hat eine zweite Filiale eröffnet. Mit einer Neuerung: Ein Café ergänzt den Blumenladen.

-
Neu im Stadtteilportal
Ratsherrn – DAS LOKAL

Bismarckstraße 60
20259 Hamburg

Eimsbüttel+

Stromtarif-Banner

Gratis für 1 Jahr

Lese ein Jahr gratis Eimsbüttel+ beim Wechsel zu Eimsbüttel Strom.*

*Nur für Neukunden Wechseln und Prämie sichern