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Magazin #8

Die werbewächter* innen

Von einem Hinterhof in Eimsbüttel aus wollen ein paar Aktivist*innen die Werbelandschaft umkrempeln und Menschen zum Umdenken anregen. Nun wurde der Verein von der Bundesregierung beauftragt, sexistische Werbung zu überwachen. Text: Clara Eichner

Von Gast

Bagel Brothers, Penny, Fräulein Wunder – viele Geschäfte im Eppendorfer Weg suchen mit Signalfarben und großen Schildern die Aufmerksamkeit der Eimsbütteler. Der Verein Pinkstinks Germany e.V. ist dort weniger präsent.

Wer nicht zielstrebig durch den Hinterhof, das Treppenhaus einer einfachen Wohneinheit hochgeht und an der Tür im ersten Obergeschoss klingelt, wird sich kaum in die Büroräume der Organisation verirren.

Wie Studenten ehrenamtliches Engagement lernen

Die Dozentin Cornelia Springer ist Leiterin der Projekte „Refugees welcome – aber wie?“ und "Hamburg für alle - aber wie?" an der Universität Hamburg. Sie hat ein Programm für Studierende geschaffen, das sie auf ehrenamtliches Engagement vorbereitet und darin unterstützt. Ein Porträt.

Ariane Lettow öffnet die schlichte Tür und lächelt freundlich. Die Office-Managerin hat rot-blonde Locken und ist elegant gekleidet. Im Kontrast dazu trägt Stevie Schmiedel, Gründerin und Geschäftsführerin von Pinkstinks Germany einen sportlichen Kapuzenpulli mit dem Schriftzug „the problem is not that I see sexism everywhere the problem is that you don’t“.

Verein 2012 gegründet

Ihr Händedruck ist stark, ihre Stimme melodisch. Mit dem Arm macht sie eine ausholende Geste und stellt das kleine Büro vor, das aus zwei Räumen besteht. Es gibt vier Schreibtische, auf einem liegt ein Paar Gehörschützer. An den Wänden hängen Plakate mit starken Statements wie zum Beispiel „Sexy yes, Sexism no”.

2012 entstand der Verein, für den heute vier Mitarbeiter in Teilzeit arbeiten. Gerade stellte Stevie Schmiedel eine weitere Mitarbeiterin für Social Media Kampagnen ein. Im verglasten Konferenzraum drehen die Mitarbeiter für den YouTube Kanal „Lu Likes”.

Theaterstücke an Schulen

Schauspielerin Lara Wichels, bekannt aus dem Videospot „Hamburger Deern – Eine Liebeserklärung an Hamburg”, spricht über den ersten Liebeskummer, Jungfräulichkeit und Sport während der Menstruation. Ihre Videos richten sich an zwölf bis 16-jährige Mädchen. Das Youtube Video „Lasst uns bluten” erzielte über 190.000 Aufrufe.

An Schulen ist die Theaterpädagogin Blanca Fernandez mit dem Theaterstück „David und sein rosa Pony“ unterwegs. Ist es okay, wenn ein Junge ein rosa Kuscheltier mag? Grundschulkinder hinterfragen, ob es typische Spielsachen für Jungs oder klassisches Mädchen-Verhalten gibt.

Tanja Lazarevic ist Sozialarbeiterin und gehört zum Team der Kemenate. Foto: Lea Freist

Raum nur für Frauen

Fast ein Viertel der Obdachlosen in Hamburg sind Frauen. Das Leben auf der Straße ist für sie meist gefährlicher als für Männer: Sie sind schutzloser, werden sexuell belästigt. Oder sie halten es in einer Beziehung trotz Gewalt aus, übernachten bei flüchtigen Bekannten. Für wohnungslose Frauen gibt es nur wenige Einrichtungen, die etwas Ruhe und Zuflucht bieten. Eine davon liegt in Eimsbüttel: der Tagestreff „Kemenate“.

Für Kinder ab der 7. Klasse bietet Pinkstinks seit 2013 das Theaterstück „Vielfalt ist Schönheit” an. Es thematisiert Schönheitszwang, Körperbild und Geschlechterrollen. Über Blog, Newsletter, Facebook und Twitter machen sich die Pinkstinks-Aktivisten für Frauen und ein vielfältiges Rollenverständnis stark.

Offizielle Werbewächterin

Chefredakteur Nils Pickert schreibt vor allem über Kinder, Erziehungsfragen und Gleichberechtigung. Er bezeichnet sich als „Vollfeminist” und „Teilzeitrockträger”. Zudem sorgt er für eine bessere Männerquote im Team.

„Pinkstinks wird offizielle Werbewächterin”, schreibt Stevie Schmiedel vor einigen Wochen im Newsletter. Sie ist begeistert: „Vor fünf Jahren saß ich noch alleine am Küchentisch, bloggte und tütete nachts mit Freunden Flyer ein. Wir hatten damals den Traum, sexistische Werbung einzudämmen.” Weil es immer noch Überraschung auslöse, wenn in einem TV-Spot die Mutter berufstätig und der Vater Hausmann ist.

Mit dem Smartphone sexistische Werbung melden

Diesem Wunsch dürfte die Gründerin von Pinkstinks Germany nun ein deutliches Stück näher gekommen sein. Im Auftrag des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) untersucht der Verein Sexismus in der Werbung. Dazu lässt Pinkstinks ein Webformular entwickeln, das es Smartphone-Besitzern erleichtern soll, Werbung zu melden, die sie als diskriminierend und sexistisch empfinden.

Die Nichtregierungsorganisation würde dann überprüfen, ob das kritisierte Plakat, der TV-Spot oder die Anzeige wirklich sexistisch ist. „Unser Bauchgefühl ist, dass es im ländlichen und mittelständischen sehr viel mehr Toleranz für sexistische Werbung gibt”, sagt Schmiedel. Durch das Monitoring wollen sie das überprüfen.

(V. l. n. r.) Ariane Lettow, Stevie Schmiedel, Nils Pickert und Gina Nicolini. Foto: Fabian Hennig
(V. l. n. r.) Ariane Lettow, Stevie Schmiedel, Nils Pickert und Gina Nicolini. Foto: Fabian Hennig

„Nach erfolgreichen Projekten mit Pinkstinks zu anderen Themen besteht die Überlegung, mit dieser Organisation auch in diesem Aufgabenfeld zusammenzuarbeiten”, sagt Frank Kempe, Pressereferent des BMFSFJ. Ziel sei es zu sehen, wie verbreitet sexistische Werbung ist und wie nachhaltig der Deutsche Werberat – als Beschwerdeinstanz für diskriminierende Werbung – Klagen bearbeitet.

Negative Effekte von sexistischer Werbung

Stevie Schmiedel sieht einen Zusammenhang zwischen sexistischen Schönheits- und Werteidealen in der Werbebranche und psychischen Erkrankungen wie Körperdysmorphie. Betroffene haben dabei eine gestörte Wahrnehmung des eigenen Körpers und empfinden zum Beispiel die Nase, Ohren oder Arme als ungewöhnlich hässlich.

„Zahlreiche Untersuchungen belegen, dass gut gemachte Werbung das Konsumentenverhalten beeinflusst”, sagt Michel Clement, Professor am Lehrstuhl für Marketing und Media der Universität Hamburg: „Sexistische oder erotische Motive in der Werbung können negative Effekte auf die Gesellschaft haben, wenn durch diese Motive Selbstvergleichsprozesse angeregt werden und zu Einstellungsänderungen führen. Schnell werden dann die in der Werbung verwendeten Motive als ‚normal‘ interpretiert. Die Selbstvergleichsprozesse sind insbesondere bei Personen mit geringem Selbstwertgefühl kritisch und können mit negativen Konsequenzen verbunden sein.“

In Bremen gibt es schon Leitlinien gegen sexistische Werbung

Sexismus in der Werbung muss gebremst werden, lautet die Botschaft der pinken Organisation. „Wenn wir immer wieder mit den gleichen Begrenzungen konfrontiert werden, entwickeln wir uns nicht weiter”, betont Stevie Schmiedel.

Deshalb fordert Pinkstinks eine Erweiterung des Gesetzes gegen unlauteren Wettbewerb, „um sexistische Werbung gesetzlich abmahnen oder über Nacht mit einer einstweiligen Verfügung vom Markt nehmen zu können.” Auch Justizminister Heiko Maas sowie der SPD-Bundesvorstand haben sich in der Vergangenheit für schärfere gesetzliche Regelungen ausgesprochen.

Der Senat des Bundeslandes Bremen hat im April 2017 Leitlinien beschlossen, anstößige Werbebanner auf öffentlichen Werbeflächen zu entfernen.

Nicht nackte Haut aus der Werbung verbannen

„Niemand darf wegen seines Geschlechts benachteiligt oder bevorzugt werden”, heißt es im Grundgesetz. Genau hier liegt für die Eimsbütteler-Feministen das Problem. Ein Werbeprospekt, in dem ein Mädchen an einem Spielzeug-Computer mit sieben Knöpfen, der Junge mit 15 Knöpfen zu sehen ist, sei diskriminierend. Denn unterschwellig lautet die Annahme, dass Jungs schlauer seien und besser mit einem technischen Gerät umgehen können, als gleichaltrige Mädchen.

Foto: Pinkstinks Germany e.V.

„Stereotype und Geschlechterrollen prägen uns”, sagt die Pinkstinks Initiatorin. Zum Beispiel bei der Berufswahl: Ein Junge beginne eine Ausbildung als Kfz-Mechatroniker, weil er vor seinen Freunden als „harter Kerl” dastehen will. Dabei hätte er vielleicht mehr Lust und Talent, sich um Kinder zu kümmern.

„Wir wollen nicht jede nackte Haut aus der Werbung verbannen und sind überhaupt nicht gegen Erotik”, erklärt die Geschäftsführerin von Pinkstinks. Ein Plakat, das viel Haut zeigt, sei völlig in Ordnung – beispielsweise für Bademode oder ein neues Shampoo. Was gar nicht ginge: Nackte Körper, wenn sie in keinem Zusammenhang zu dem beworbenen Produkt stehen.

Werberat wacht über die Branche

Zum Beispiel, wenn ein Wettbüro mit einem nackten Hintern für Fußballwetten wirbt. „Weil die Frau dabei auf sexuelle Verfügbarkeit reduziert wird”, erklärt Schmiedel. Es geht bei Sexismus aber nicht nur um nackte Haut. Männer würden zum Beispiel darauf reduziert werden, cool und stark zu sein. So etwa in dem Werbeslogan für das Getränk Almdudler: „Auch Männer haben Gefühle: Durst”.

Bisher wacht der Deutsche Werberat über die Branche. Jeder, der sich von einer Werbung verletzt fühlt, kann sich an die Organisation wenden, die von Agenturen, Medien und werbenden Unternehmen getragen wird.

Glückliche schwule Pinguine

Wo die Liebe hinfällt: Juan und Carlos sind ein Paar genauso wie Kalle und Grobi. Homosexuelle Pinguinpaare tragen zwar nicht – wie von der Natur vorgesehen – zum Erhalt der Art bei, aber es geht ihnen offensichtlich ziemlich gut. Und das ist doch genauso wichtig.

Ein Entscheidungsgremium überprüft dann, ob eine Diskriminierung oder Herabwürdigung vorliege. Das ist beispielsweise der Fall, „wenn vermittelt wird, dass eine Person oder Personengruppe weniger wert sei als andere” oder „wenn Personen in ihrer Würde verletzt oder verächtlich gemacht werden”.

Wenn der Werberat eine Werbung als nicht akzeptabel einstuft, weil sie gegen die Verhaltenskodizes der Branche verstößt, wendet er sich an die werbenden Unternehmen und forderte diese auf, das kritisierte Motiv zu ändern oder zu entfernen. Falls sie ausnahmsweise auf die Kritik nicht reagieren, spricht der Werberat eine öffentliche Rüge aus.

Werberat hat keine Durchsetzungsmacht

Das machte er zum Beispiel 2016, als City Paintball Hamburg einen Werbeaufsteller mit einer leicht bekleideten Frau und dem Slogan „Bock auf Ballern” nicht an allen Standorten entfernen ließ. Der Werberat kritisierte, dass dieser suggeriere, dass man aus Spaß auf Frauen schießen könne. Zudem diene die abgebildete Frau lediglich als Sexualobjekt und werde auf ihren Körper reduziert.

Der Werberat verfügt über keine rechtliche Durchsetzungsmacht, ähnlich wie der deutsche Presserat. Ist demnach eine verschärfte Gesetzgebung notwendig, um Sexismus in der Werbung zu bremsen?„Nein”, sagt Julia Busse, Geschäftsführerin und Sprecherin des Deutschen Werberats und verweist auf einen Gastbeitrag von Frauke Henning-Bodewig im Jahrbuch „Deutscher Werberat 2017“.

Kein neues Gesetz notwendig

Darin schreibt die Professorin für Immaterialgüter- und Wettbewerbsrecht am Max-Planck-Institut für Innovation und Wettbewerb: „Es ist nicht die Aufgabe des Gesetz gegen den Unlauteren Wettbewerb, sex-betonte Werbung oder gar einem bestimmten Rollenverständnis der Geschlechter auf die Sprünge zu helfen.“

Tatsächlich sei nur ein sehr kleiner Teil aller Kampagnen, Spots und Plakaten sexistisch. 2.265 Beschwerden erreichten 2016 das ehrenamtlich tätige Entscheidungsgremium des Werberats. In 273 Fällen klagten Verbraucher über Geschlechterdiskriminierung. Die Experten stuften über die Hälfte der Klagen als unbegründet ein.

Auch der Gesamtverband Kommunikationsagenturen GWA, dem Werbemacher wie Scholz & Friends oder elbkind angehören, sieht keine Notwendigkeit für eine Gesetzesverschärfung. Geschäftsführer Ralf Nöcker sagt: „Die Selbstregulierung der Werbung durch den Deutschen Werberats ist hochwirksam.”

Werbung reflektiert die Gesellschaft

Eine Rüge führe zu negativer Berichterstattung und schade dem Image – sowohl der verantwortlichen Werbeagentur als auch des werbenden Unternehmens. Hinter den Plakaten und Flyern, die Frauen als Sexualobjekt fokussieren oder geschlechtsdiskriminierend sind, stünden meistens unprofessionelle Laien und keine großen Marken.

Anders als Pinkstinks fordert der GWA keine gesetzlichen Verbote, sondern appelliert an die Verbraucher. „Werbung reflektiert die Gesellschaft und prägt sie nicht”, findet Nöcker. So sehe er zum Beispiel noch keine geschlechtsneutrale Erziehung. „Eltern kaufen ihren Töchtern nach wie vor Puppen und rosa Kleider. Die Söhne bekommen Autos und blaue T-Shirts.”

„Die Deutschen haben wenig Ahnung, was Sexismus ist”

Auch das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz sieht aktuell keinen Grund für eine Gesetzesverschärfung, erklärt ein Pressesprecher auf Anfrage.  Es könnte auch eine Reaktion auf die laut gewordene Kritik an Maas Vorschlag dazu sein. „Wir halten es für falsch, Menschen mit Verboten zu erziehen”, heißt es aus dem Ministerium.

Und selbst Schmiedel, die die Gesetzesnorm fordert, gibt zu bedenken, dass diese in den ersten Jahren völliges Chaos mit sich bringen könne: „Die Richter sind nicht sensibilisiert, die Gesetzesnorm zu verstehen und anzuwenden.”

Pinkstinks e.V., Foto: Clara Eichner

Aktuell landen täglich zwei bis drei Zusendungen mit dem Vorwurf „Sexistisch?!” im pinken Postfach. Die Hälfte der kritisierten Werbemaßnahmen sind nach Einschätzung der Organisation sexistisch. Die andere Hälfte nicht. „Die Deutschen haben wenig Ahnung, was Sexismus ist”, findet Schmiedel von Pinkstinks. „Wir wollen zeigen, was das ist und was man dagegen tun kann.”

Arbeit ist noch lange nicht beendet

Mit ihren Aktionen stoßen sie nicht immer auf offene Ohren. Manchmal bekommen die Mitarbeiter auch zu hören, es gäbe wichtigere Probleme in der Welt. Doch sie lassen sich nicht entmutigen und sehen ihre Arbeit noch lange nicht als beendet.

Sie begrüßen, dass die Regierung den Verein jetzt zunächst mit dem „Monitoring sexistischer Werbung in Deutschland“ beauftragt hat. Es geht ihnen dabei nicht, wie häufig vorgeworfen, nur um nackte Haut.

In dem Büro im Eppendorfer Weg gilt das Motto #unstereotype. Fotos und Plakate zeigen zum Beispiel eine rundliche, tätowierte Frau, zwei sich küssende Männer und eine Handwerkerin in Latzhose und mit einer Vesperstulle in der Hand. Sexismus erniedrigt und unterstützt Rollenbilder, die wenig mit Gleichberechtigung und Vielfalt zu tun haben.

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